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Spina bifida OP im Mutterleib

Diagnose Spina bifida

Und das Wunder moderner Medizin

Er lacht, brabbelt, strampelt mit den Beinen und betrachtet alles mit wachen und neugierigen Blicken. Wenn Außenstehende das sechs Monate alte Baby betrachten ahnt niemand, dass er eigentlich ein kleines Wunder ist. Ein Wunder, dass moderne Medizin ermöglicht hat.

16. Schwangerschaftswoche.

Etwas stimmt nicht.

In der 16. Schwangerschaftswoche stellt die Frauenärztin im Ultraschall erweiterte Liquorräume fest und überweist sie zur Abklärung zum Feinultraschall (Pränatalschall). Erste Unsicherheiten treten auf, aber noch sind die Eltern zuversichtlich.

17. Schwangerschaftswoche.

Der Schock.

In der 17. Woche findet der Feinultraschall statt. Der erste Schock. Im Ultraschall ist das Kleinhirn als Bananenform sichtbar. Ein erster Hinweis, dass der Fötus an einer Spina bifida leiden könnte. Am Rücken war der offene Bereich nur schwer erkennbar. Der Kleine wollte seinen Rücken während der Untersuchung nicht so recht zeigen.

MRT-Bild

Im späteren MRT deutlich zu sehen: Der blaue Pfeil zeigt die Arnold-Chiari-Malformation, ein Tiefstand des Kleinhirns, das bananenförmig gekrümmt erscheint.

Was ist die Bananenform?

Antwort

Im Horizontalschnitt erscheint das Kleinhirn bananenförmig gekrümmt

Ursächlich für die Entstehung der Bananenform sind Druckveränderungen im Liquor, die dazu führen, dass das Kleinhirn in den Spinalkanal hineingezogen wird.

20./21. Schwangerschaftswoche.

Der Defekt ist erkennbar.

In der 20./21. Woche konnte der offene Bereich dann genau bestimmt werden. Die Höhe der Läsion zog sich von L2-S1, also von der Lenden-Wirbelsäule bis zum Übergang des Kreuzbeins. Ein sehr ausgedehnter Defekt. Ohne eine fetale OP würde ihr Sohn niemals laufen können. Ein Wasserkopf hat sich ebenfalls bereits gebildet.

Der grüne Pfeil zeigt den Neuralrohrdefekt, der orangene Pfeil den Hydrocephalus, blau die Arnold-Chiari-Malformation.

"Es ist unser Kind und es soll leben"

Mit einer solchen Diagnose hatten sie nie gerechnet. Sie waren geschockt. Sie hatte immer gewissenhaft Folsäure genommen, schon vor der Schwangerschaft, es gab keine familiären Vorkommnisse. Die Situation war für die junge Familie schwierig. Sie hatten sich bewusst immer gegen Früherkennungsuntersuchungen entschieden. Sie wollten nie in die Situation geraten, sich für oder gegen das Leben entscheiden zu müssen. Nun standen sie genau da, was sie immer vermeiden wollten. Fragen, die einem durch den Kopf schossen, die man sich vorher nie gestellt hatte. Wie soll unser Leben aussehen? Und dennoch waren sie sicher, dieses Kind soll leben. Damit es eine Chance auf ein möglichst uneingeschränktes Leben hat, müssen sie eine fetale OP wagen.

Ihnen blieb nicht viel Zeit für Recherche und Entscheidung

3 Kliniken, 3 Methoden

  • offene Technik
  • perkutan-fetoskopische Technik
  • Hybrid-Technik

Nach der Diagnose mussten sie in kürzester Zeit viele Infos reinholen. Wo kann operiert werden, wie wird operiert, wie sind die Chancen? Das Ergebnis ihrer Recherche? Drei Kliniken mit drei Methoden. Entweder die offene Technik oder die perkutan-fetoskopische Technik, beide mit einem hohen Risiko für einen vorzeitigen Blasensprung und in der Folge für eine Frühgeburt verbunden. Hinzu kommt, dass bei letzterer Technik der Zugang zum Fötus erschwert ist. Sowie die Hybrid-Technik. Aber alle Kliniken über 300 km weit weg.

Wohin?

Alle Kliniken waren über 300km vom Wohnort entfernt.

München Klinik Schwabing sollte es sein, mit der risikoärmsten Methode

Ihre Frauenärztin vermittelte ihnen noch den Kontakt zu Prof. Hosie als Experte für Spina bifida. Er kam dann ebenfalls mit der Hybrid-Technik um die Ecke, einer Kombination aus offener und minimal-invasiver Technik. Unabhängige Beratungen, der intensive Austausch mit betroffenen Eltern halfen ihnen in dieser schwierigen Zeit, auch bei der Entscheidungsfindung.

Hilfe fanden Sie beim Bundesverband zur Begleitung von Familien vorgeburtlich erkrankter Kinder BFVEK e.V. 

Nach einem Telefonat mit Prof. Hosie und dem Arzt in Cincinnati, der die neue OP-Methode mitentwickelt hat, war für sie klar: In der München Klinik Schwabing werden wir unseren Kleinen operieren lassen. Mitentscheidend war auch, dass die München Klinik nur eine Stunde von ihrem Wohnort weg war und damit deutlich näher als die anderen drei Kliniken. Nun musste alles schnell gehen. Denn die empfohlene Grenze für die fetale OP ist die 26. Woche.

26. Woche

Die 26. Woche ist die empfohlene Grenze für die fetale OP.

Immer die bange Frage: Bewegt er seine Beine noch?

Von der Diagnose bis zu OP wurden regelmäßig Ultraschalluntersuchungen durchgeführt zur Kontrolle der Funktionen. Bei jedem Ultraschall die bange Frage: Bewegt er seine Beine noch?

„Die Untersuchungen dauerten teilweise sehr lange, aber jedesmal kam die Erleichterung, als er seine Beinchen bewegte.“
erzählt der Vater

Denn so lange er seine Beine bewegen kann, hat man gute Chancen die bestehenden Strukturen durch die OP zu schützen.

24. Schwangerschaftswoche. OP-Vorbereitung

2Wochen

Innerhalb von zwei Wochen wurde die OP vorbereitet.

09.05.23OP-Termin

OP-Termin war am 09.05. In der 24. Schwangerschaftswoche.

US-Experteeingeflogen

Dr. Jose L. Peiro vom Cincinnati Children’s Fetal Care Center wurde extra für die OP aus den USA zur Unterstützung eingeflogen.

Der Tag der OP

Zwischen Hoffen und Bangen

Zum Zeitpunkt der OP wog der Kleine ca. 500g, bei ca. 30 cm Größe.

Fötus und Mutter sind narkotisiert.
Die Gebärmutter wird operativ freigelegt und angehoben. Um sie vor Austrocknung zu schützen, wird die Gebärmutter während des Eingriffs mit einem feuchten Tuch umhüllt. Die Operation am Fötus erfolgt dann über eine minimalinvasive Technik.

Durch minimale Einstiche in der Gebärmutter werden eine Videokamera und Instrumente eingeführt. Sie sind winzig klein. Gerade mal 2 mm im Durchmesser. Um die Sicht und den Arbeitsraum für die Operateure zu verbessern, wird zuvor Fruchtwasser abgesaugt und Gas in die Fruchtblase gefüllt. Falls er nicht richtig liegt, kann der Kleine über die Gebärmutter gedreht werden.

OP-Instrumente im Vergleich: Das obere mit 2 mm Durchmesser für die fetale OP, das untere mit 5 mm Durchmesser für Erwachsene und Kinder.

Schicht für Schicht trennen die Chirurgen das Rückenmark und die Nerven von der Haut und den Hirnhäuten.
Ist die letzte Schicht durchtrennt fällt das Rückenmark von alleine in seinen vorgesehenen Platz.
Der offene Rücken wurde dann mit einem „Patch“ (Flicken) aus Kollagen verschlossen. 15mm groß und 5 mm breit war der Flicken.

Nachdem die Haut verschlossen wurde, konnte das Fruchtwasser wieder aufgefüllt und die Gebärmutter wieder in ihre ursprüngliche Position zurückverlagert werden. Nach 2 Stunden war alles vorbei. Mit der kurzen Eingriffsdauer ist das Risiko eines Blasensprungs oder einer operationsbedingten Frühgeburt sehr reduziert.

OP verlief komplikationslos

Die entscheidende Frage: Wie lange bleibt er drin?

Alles verlief komplikationslos. Jetzt hieß es für die Mutter: schonen, schonen, schonen. Und das mit einem dreijährigen Buben daheim. Die eigene Familie, Freunde und die Haushaltshilfe vom Familienpflegewerk waren hier eine große Unterstützung. 

Und der Kleine blieb drin.

Die Ultraschalluntersuchungen zeigten nicht nur ein lebhaftes strampelndes Kind, sondern nach kurzer Zeit auch, dass das Kleinhirn wieder vollständig in der Schädelgrube lag. Nur der Hydrocephalus wollte nicht zurückgehen. Dann ging es darum, einen Kaiserschnitttermin zu finden. Der 10.08., also in der 37. Woche, wurde von unseren Experten vorgeschlagen.

 

„Er machte sich so toll, dass wir Dr. Neumann überredeten, ob wir nicht bis zur 39. Woche warten könnten.“
so der 33-jährige Vater

Das sah der Kleine allerdings anders. Pünktlich am 10.08. platzte die Fruchtblase. Mit 3220 g und einer Größe von 50 cm kam ein quietschfideler kleiner Mann auf die Welt.

37.Woche geboren

Geboren am: 10.08.23
Größe: 50 cm
Gewicht: 3220 g

"Er ist unser kleiner Sonnenschein"

Wegen seines Hydrocephalus ist er in Nachsorge, hat aber nahezu keine körperlichen Beeinträchtigungen.

Spina bifida Rückansicht

Die Narbe ist sehr gut verheilt und sieht wie ein breiter, hellroter Strich aus.

„Er ist unser kleiner Sonnenschein. Ein richtig zufriedenes und fröhliches Baby, das neugierig alles und jeden beobachtet. Seit Kurzem robbt er rückwärts und versucht sich zu drehen,“
berichten die Eltern stolz

Dass so viel Aufhebens um ihn gemacht wird, belächelt der Kleine. Seine Operateure sieht er mit wachem Blick an und kommentiert das Gesagte seiner Eltern glucksend.

"Wir wollen helfen und aufklären: Ja es gibt gute Alternativen."

Mit Blick auf die nach wie vor hohe Abbruchrate von Schwangerschaften nach Diagnose „Spina bifida“ – an die 90% - betonen die Mediziner:

„Die neuen Möglichkeiten der Fetalchirurgie können hier eine echte Alternative darstellen,“
betonen die Mediziner
90Prozent

der Frauen mit der Diagnose Spina bifida entscheiden sich für eine Abtreibung.

Auch die Eltern des ersten Schwabinger Patienten möchten diese Option bei betroffenen Familien bekannter machen.

„Wir möchten anderen betroffenen Eltern zeigen, dass es gute Behandlungsmöglichkeiten gibt. Wir sind auch jederzeit bereit, mit betroffenen Eltern zu sprechen und zu beraten. Uns hat das sehr geholfen,“
erklärt die Mutter

„Wir möchten dem kompletten Team der München Klinik danken, was sie für unseren Sohn durch die Operation getan haben. Wir hoffen, dass wir vermitteln konnten, dass die OP nicht nur eine weitere Schädigung aufhalten konnte. Vielmehr sind seine tatsächlichen und aktuell ermittelbaren motorischen Funktionen verglichen mit den aufgrund der Läsionshöhe zu erwartenden deutlich besser.“

Es braucht viele Spezialisten

Das fetale Behandlungsteam ist in der München Klinik Schwabing interdisziplinär und interprofessionell und umfasst Spezialist*innen aus der Kinderchirurgie, Kinderneurochirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Anästhesiologie, Kinderradiologie und Neonatologie. Das Schwabinger OP-Team arbeitet hierfür eng mit den Neurochirurg*innen der unter Leitung von Chefarzt Prof. Jens Lehmberg zusammen.

Das verantwortliche fetale Behandlungsteam

Das verantwortliche fetale Behandlungsteam: Chefarzt Dr. Olaf Neumann, Chefarzt Prof. Dr. Stuart Hosie, Chefarzt Prof. Dr. Jens Lehmberg, Leit. Oberarzt Ralf Heigermoser (v.l.n.r.)

„Unser Ziel ist es, werdenden Eltern und ihren Kindern eine bestmögliche Versorgung zu bieten. Wir begleiten die Familien von der Erstdiagnose bis zur Nachsorge nach dem Eingriff. Erst das Zusammenspiel der verschiedenen Fachbereiche ermöglicht eine optimale Patient*innenversorgung im Sinne des bestmöglichen Resultats.“
Dr. Olaf Neumann, Chefarzt der Frauenklinik in der München Klinik Schwabing

Neues fetalchirurgisches Zentrum wurde über Jahre intensiv vorbereitet

Mit der Erweiterung ihres operativen Spektrums um die Hybridtechnik bei „Spina bifida“ hat die München Klinik Schwabing ihr neues fetalchirurgisches Zentrum etabliert. Die fetalen Eingriffe wurden in einer zweijährigen Aufbauphase im Rahmen von Trainingskursen, Hospitationen und Fallkonferenzen intensiv vorbereitet und werden in Schwabing von einem hochspezialisierten Team durchgeführt. Basis für diese Expertise ist auch der internationale Austausch und die enge Kooperation mit führenden Referenzzentren wie dem Zentrum in Cincinnati (USA).

Zentrum für fetale Chirurgie in der Kinderchirurgie der München Klinik Schwabing

Die Kinderchirurgie der München Klinik Schwabing ist eine der größten kinderchirurgischen Abteilungen in Süddeutschland. In vielen Fachgebieten haben sie sich eine jahrelange - und weit über die Grenzen Münchens hinaus bekannte - Expertise erarbeitet. Als eines von weltweit bislang nur wenigen Zentren wird die Spina bifida mit einer hybriden OP-Methode im Mutterleib operiert.

Kinderchirurgie: Zentrum für fetale Chirurgie

Unsere Geschichten für Sie: Viel Freude beim Lesen!